Jede hat vermutlich aus ganz unterschiedlichen Gründen eine Epoche in Kunst und Kultur, die ihr besonders nahe ist. Bei mir ist es Musik, Literatur und Kunst des ausgehenden 19. und des anschließenden 20.Jahrhunderts.
Ella Fitzgeralds Berliner Konzertversion von Mackie Messer aus der Plattensammlung meines Vaters legte früh den Samen zu einer lebenslangen Liebe zu Brecht/Weill, die mit Klimt gemeinsame Sommerfrische (weshalb mein liebstes Bild von ihm das von Schloss Kammer ist) hat ein Interesse am Jugendstil geweckt und Kandinskys Bilder (und mein Kunstlehrer in der Oberstufe) erschlossen mir das Bauhaus und in der Folge all das schöne Design.

Eher zufällig entdeckte ich vor ein paar Jahren das Kurt-Weill-Fest in Dessau, dass immer ab Ende Februar für drei Wochen in Dessau und an anderen Orten drumherum ein feines Programm anbietet. Über die Jahre habe ich neben dem Anhaltinischen Theater viele andere interessante Spielorte kennengelernt.
So habe ich eine wunderbare Ute Lemper nicht nur im Anhaltinischen Theater, sondern auch im Steintor-Variete in Halle erlebt oder Thomas Quasthoff und eine noch nicht verkühlte Frida Gold im DB-Ausbesserungswerk in Dessau-Süd in Konzerten gehört. Ich hatte wunderbare Lesungen mit Künstler:innen wie Klaus Maria Brandauer, Lars Eidinger, Katja Riemann und Katharina Thalbach, Konzerte mit Big Bands und wunderbaren Solist:innen und auch die eine oder andere feine Musiktheateraufführung – aber auch die schlechteste Aufführung vom „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagony“. Aber das war ein seltener Ausreißer.

Die von mir lange gewünschte Veranstaltung im Historischen Arbeitsamt fiel leider dem ersten Lockdown 2020 zum Opfer – und ich freue mich, wenn dieser Ort anlässlich des Jubiläums von 100 Jahren Arbeitslosenversicherung im Jahr 2027 endlich ein wichtiger Ort für Geschichte und Zukunft der Arbeits(losen)versicherung wird. Der von Walther Gropius geplante Bau wurde 1928-29 mit Unterstützung der Bauhaus Werkstätten errichtet und war ein Bauwerk, dass eine funktionelle und effektive Abwicklung der Arbeitsabläufe unterstützen sollte. Ab 1929 wurde es zunächst als Arbeitsamt genutzt. Das Gebäude entging dem Abriss und wurde von Kriegsschäden verschont. Nach 1945 hat es eine wechselvolle Nutzung erfahren. 2025 zog das Dessauer Ordnungsamt aus – und das Gebäude wird vorbereitet, um ab 2027 eine Geschichte der deutschen Arbeitsversicherung zu präsentieren.


Festivals sind eine gute Gelegenheit, sich auf Neues einzulassen: auf (für eine) bisher unbekannte Künstler*innen, auf neue Theaterstücke oder Musik, auf neue Formen der Präsentation oder neue Orte. Und deshalb mag ich es sehr, in Programmen zu stöbern und Kulturwochenenden zu planen. Ich habe auf diese Weise viel über weniger bekannte Seiten von Kurt Weill gelernt, wunderschöne Programme mit Werken von Künstler*innen erlebt, die aufgrund ihrer erzwungenen Emigration in der Nazizeit leider in Vergessenheit geraten sind und entdecke immer wieder neues Schönes. Man trifft andere an dieser Art von Kultur Interessierte und kommt beim Getränk vor oder dem Warten auf den Beginn des Konzertes ins Gespräch. Besonders bemerkenswert war in dieser Hinsicht das Konzert von Jocelyn B. Smith in der Marienkirche. Das Charisma und die Energie dieser Künstlerin schaffen besondere Momente des Miteinanders der zufällig nebeneinander sitzenden Personen.
Wenn ich mir was wünschen dürfte – dann dass in Zukunft auf die Karte ein Hinweis gedruckt wird, ob die Plätze in der Mitte der Reihe (gerade im Anhaltinischen Theater) oder eher am Rand sind und das verbunden mit der Bitte, dass die in der Mitte nicht immer als Letzte kommen und alle anderen aufstehen lassen.
Insgesamt ist eine besondere Stimmung und ein besonderes Publikum beim Kurt-Weill-Fest – kein Chi-Chi und keine Bussi-Gesellschaft, sondern viele, die diese Art von Kultur mögen und Spaß haben – und auch ein wenig (N)ostalgie mögen.
Tipps
1. Das Programm des Kurt-Weill-Fest erscheint meist im Oktober auf https://kurt-weill-fest.de/, der Vorverkaufsstart ist meist Ende Oktober. Wenn man den Newsletter abonniert, wird man zuverlässig informiert. Die Möglichkeit, alles online zu buchen, scheint oft einfacher, als telefonisch zu ordern, aber damit verzichtet man auf eine wirklich gute, zugewandte und freundliche Beratung, die sich nach meiner Erfahrung lohnt, auch weil man oft noch gute Tipps für weitere spannende Veranstaltungen bekommt und sich im Gespräch einiges ergibt.
2. Wer regelmäßig zum Kurt-Weill-Fest fährt, sollte in den Mitgliedsbeitrag (50 € im Jahr) für die Kurt-Weill-Gesellschaft https://kurt-weill-fest.de/ueber-die-gesellschaft/ investieren. Damit kann man vor dem offiziellen Vorverkaufsstart seine Tickets ordern, was angesichts vieler ausverkaufter Veranstaltungen ein echter Vorteil ist und bekommt Einladungen zu weiteren interessanten Veranstaltungen.
3. Dessau ist gut von Berlin mit dem Zug – und dem Deutschlandticket- erreichbar, und man kommt Sonntagabend auch noch ohne weitere Hotelübernachtung mit dem Zug zurück nach Berlin.

Es gibt tagsüber einen Nahverkehr in Dessau, um die meisten Aufführungsorte auch ohne eigenes Auto zu erreichen, aber manches ist schlecht ohne Auto erreichbar. Die Dessauer Verkehrsbetriebe bieten mit einer App die einfache Möglichkeit, die schnellsten Verbindungen zu finden. https://www.dvv-dessau.de/verkehr/handyticket/
Ab ca. 20 Uhr gibt es einen „Nachtverkehr“ mit Großraumtaxis zum Nahverkehrstarif. Und wenn man ein Taxi nutzen will, sollte man miteinplanen, dass es nicht sofort verfügbar sein könnte.
4. Es lohnt sich, das Arrangement mit dem Radisson in Dessau zu buchen. Das Hotel ist eines der besseren Häuser der Kette und gegenüber vom Bahnhof gelegen. Das Frühstücksbüffet ist an den Wochenenden um 9.00 Uhr etwas überfüllt, aber wenn man diese Rush-Hour vermeidet, kann man auch ordentlich frühstücken.

Wenn man ins Anhaltinische Theater will, sind es nur wenige Schritte über die Straße – und man kann meist auf den Mantel verzichten – und damit auf das Schlange stehen an der Garderobe am Ende der Veranstaltung. Und morgens beim Frühstück und abends an der Bar sieht man nicht nur andere Besucher*innen, sondern auch den einen oder die andere Künstler*in.

5. Wenn man aus Berlin kommt, muss man sich umgewöhnen: Es gibt nach 21 Uhr kaum noch Möglichkeiten, etwas zu essen zu bekommen. Die Küche im Radisson schließt um 22 Uhr, Imbisse und Restaurants machen Feierabend, meist bis spätestens um 22 Uhr, und damit nach dem Ende der Abendveranstaltungen. Also entweder am Nachmittag etwas fürs „Zimmerpicknick“ besorgen oder vor der Veranstaltung essen gehen.
6. Ein Ort der besonderen Gastlichkeit ist das https://www.tobiornotto.be/ Restaurant von Tobias Felgner – hier schaue ich immer gerne vorbei und genieße gutes Essen und Service.


6. Es gibt die Bauhaus-Linie 10 der Dessauer Verkehrsbetriebe, die alle wichtigen Orte, leider nur in einem Stundentakt, erreicht. Meist ist es aber einfacher, die regulären Straßenbahn- und Buslinien zu nutzen. Fußläufig vom Bahnhof kommt man gut zum Bauhaus-Gebäude (mit einem großen Museumsshop im 1.Stock und einer guten Cafeteria für einen Kaffeestop im Keller) und den Meisterhäusern.

Zum Kornhaus an der Elbe ist es eine ziemliche Strecke zu Fuss – eine Einkehr lohnt, bei gutem Wetter auch auf der Terrasse mit Elbblick.

Weniger bekannt, aber unbedingt besuchenswert ist die Siedlung Törten. Leider sind die wenigsten Häuser noch im Originalzustand. Wer das Moses-Mendelsson-Museum besucht, hat die Chance, eines der kleinen Reihenhäuser von innen zu sehen. Man merkt sehr schnell, wie sehr sich die Ansprüche an Wohnen verändert haben, wenn man sich vorstellt, dass diese Häuser für Familien geplant waren.

Aber es war eben auch Raum für einen kleinen Stall und einen langen Garten hinter dem Haus, um Obst und Gemüse selbst anzubauen. Und man sieht die Ursprünge für das industrielle Bauen – sei es Platte oder Hochhaussiedlung. Mehr Infos findet man zu den verschiedenen Bauhaus-Bauten unter https://www.bauhaus-dessau.de/de/ausstellungen/bauhaus-bauten-dessau.html

7. Die 2023 eingeweihte Kurt-Weill-Synagoge ist die erste neu gebaute Synagoge https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Synagoge_(Dessau) in Sachsen-Anhalt seit der deutschen Wiedervereinigung. Kurt Weill, der in Dessau geborene Sohn des Kantors der jüdischen Gemeinde, ist damit Namensgeber für eine Synagoge, die jüdisches Leben in Dessau wieder sichtbar macht.


8. Falls das Kurt-Weill-Fest schon vor Rosenmontag stattfindet , kann man am Sonntag vormittag einen Karnevalszug durch die Innenstadt erleben, der eine über 60jährige Tradition hat und dessen Wagen von örtlichen Vereinen und Organisationen gestaltet werden.





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